Westfälischer Anzeiger, 7. Juni 2014: "Im Dialog mit rechter Szene"

RHYNERN • Hass, Gewalt und Aggression. Die aus Rhynern stammende Konfliktforscherin Claudia Luzar bewegt sich furchtlos im Kampf gegen Rechtsextremismus. Entspannung findet sie in ihrer alten Heimat. „Rhynern ist für mich Heimat und Welt zugleich“. Hier wuchs sie auf, von hier zog sie in die Welt der Konflikte und hier findet sie auch immer Entspannung und Abstand vom Job.

Freundlich, sportlich, pünktlich. Das ist der erste Eindruck der Politikwissenschaftlerin, die inzwischen zu den bekanntesten Konfliktforscherinnen des Landes gehört. Ihr Leben in der Forschung an der Uni Bielefeld und der FH Dortmund widmet sie dem Kampf gegen Rechtsextremismus und der Opferbetreuung von rechtsextremen Übergriffen. „Ich bin Wissenschaftlerin durch und durch.“

Mit der Schultüte in die Wilhelmschule

Ihre Ausbildung begann sie aber ganz klein – in Rhynern. Im Streitland aufgewachsen erlebte sie ihren ersten Schultag in der mittlerweile abgerissenen Wilhelmschule, als Außenstelle der Carl-Orff-Schule. Auf dem Pausenhof liebte sie es bereits, sich größeren Herausforderungen zu stellen „Am liebsten habe ich mit den älteren Jungs Fußball gespielt“, erinnert sie sich. Später ging sie auf das Beisenkamp-Gymnasium, bis sie die Liebe nach Bochum zog.

Schon früh hat sie sich für die Politikwissenschaft und die Rechtsextremismusforschung entschieden. Ein prägendes Erlebnis seien die Anschläge in Rostock 1992 gewesen. „Da haben Menschen applaudiert, während andere um ihr Leben fürchten mussten.“ Das Entsetzen ist ihr auch nach all den Jahren noch anzumerken. „Ich wollte die Hintergründe erkennen.“ Daher ging sie zum Studium nach Berlin.

Ziel sei es immer gewesen, Dinge zu verändern. „Dafür muss man aber erstmal begreifen, wie sie funktionieren“, ist sie überzeugt von ihrer Forschung. Hierfür setzt sie auf den Dialog, auch mit Rechtsextremen. Diese würden ja nicht außerhalb der Gesellschaft leben. „Wie soll ich über jemanden schreiben, wenn ich nicht mit ihm gesprochen habe“, erklärt sie ihr Vorgehen, für das sie schon manche Kritik einstecken musste. Dazu gehöre es auch, Rechtsextreme auf Demonstrationen anzusprechen. „Das sind ja Menschen wie du und ich. Die vertreten zwar ein Weltbild, das ich ablehne und bekämpfe. Aber ich muss es erstmal verstehen“. Die Leidenschaft, mit der sie ihre Sicht vertritt wird bei diesen Worten deutlich. Angst habe sie dabei aber keine. „Ich passe nicht in deren Feindbild“, ist sie sich sicher.

In all dem Stress der Arbeit und des Studiums zieht es sie immer wieder in ihre alte Heimat. „Meine Eltern leben ja auch noch in Rhynern“. Mit ihrer besten Freundin, die aus Costa-Rica stammt und in Rhynern wohnt, könne sie auch Spanisch sprechen, ihr „Tor zur Welt“, wie sie es nennt.

„In Rhynern kann ich abschalten. Daher war ich während der Diplomarbeit und der Dissertation immer wieder hier.“ Auch seien die Eltern einfach die besten und geduldigsten Korrekturleser.

„Hass löst keine Probleme“

Recht früh floh sie aus den staubigen Studiensälen ins echte Arbeitsleben. „Theorie und Praxis gehörten immer zusammen.“ So arbeitete sie am Aufbau der Opferperspektive Brandenburg und entwickelte später, zusammen mit Kollegen, den Verein BackUp in Dortmund, der Opfer von rechtsextremer Gewalt unterstützt. Aber nicht nur die Opfer stehen bei ihr im Fokus („Dann ist die Tat ja schon passiert“). Auch die Unterstützung von Aussteigern sei nötig, als präventiver Opferschutz. Man müsse „Menschen die Chance geben, wieder in diese Gesellschaft hineinzuwachsen.“ Dafür helfe es nicht, einfach nur „Nazis raus“ zu brüllen.

Um klare Thesen ist sie nicht verlegen, nur wenn es um ihr Ausscheiden beim Verein BackUp vor wenigen Wochen geht (WA berichtete) wird sie etwas ruhiger. Über die Umstände will sie sich nicht äußern. Der Verein habe sich für andere Strategien entschieden. Diese seien „nicht meine“.

Schnell zurück zur aktuellen Praxis. Seit letztem Jahr arbeitet sie an der Bestandsanalyse zum Thema Rechtsextremismus in Hamm, die sie im Auftrag der Stadt anfertigt (WA berichtete). „Insgesamt habe ich dafür 37 Interviews geführt“. Die Analyse basiere also auf einer „satten Empirie“. Gesprochen hat sie dabei mit Vertretern der Politik, Opfern von rechter Gewalt, aber auch mit Aussteigern und Rechtsradikalen. „Die Studie wird im Herbst dieses Jahres an die Stadt übergeben“. Vorher möchte sie keine Ergebnisse herausgeben.

Politikwissenschaft mit Leib und Seele

Sie wolle mit ihrer Arbeit Dinge verändern und Perspektiven aufzeigen. Das sei auch in Zukunft das, was sie an ihre Studenten weitergeben möchte. „Ich bin mit Leib und Seele Politikwissenschaftlerin“. Dass es sie auch in Zukunft immer wieder in die Region und nach Rhynern ziehen wird, liegt aber auch an ihrer zweiten großen Leidenschaft, dem BVB. „Mit meinen Spielplatz-Freunden gehe ich heute noch ins Stadion.“ Und auch die alten Hobbys Reiten und Schwimmen haben einen großen Platz in ihrem Leben. „Hamm ist für mich bis heute Reiten und das Maximare. Pflegepony und Reitturniere, das war meine Kindheit.“

Martin Oelmeier

Erschienen in: Westfälischer Anzeiger, 7. Juni 2014 [PDF-Bild und PDF-Text]