18.12.2012 „Back up“ hat sie ihre Beratungsstelle genannt, was so viel hießt wie "Rücken stärken". Und genau das tut Claudia Luzar seit 14 Jahren. Sie kümmert sich um Opfer rechter Gewalt. Erst in Brandenburg, jetzt im Ruhrgebiet. Ihre Dortmunder Beratungsstelle ist die erste professionell geführte in Westdeutschland.
Ein Pionier ist jemand, der hingeht, wo noch niemand war. Oder der etwas macht, was vorher keiner getan hat. Claudia Luzar ist Pionierin. Eine, die im Osten und im Westen Deutschlands Neuland betrat. Vor 14 Jahren baute sie in Brandenburg die erste Beratung für Opfer rechter Gewalt auf; vor einem Jahr gründete Luzar mit anderen Aktiven die Beratungsstelle Back up. Das heißt: „Den Rücken stärken“. Back up ist das erste professionell geführte Büro in Westdeutschland, das jenen den Rücken stärkt, die von neuen Nazis beleidigt, bedrängt und verletzt werden. Und das bedeutet: viel Pionierarbeit.
Neonazis, Fremdenhass, tiefer, brauner Sumpf – ein Phänomen vielerorts in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt oder Brandenburg. Aber Claudia Luzar warnt davor, mit dem Finger auf die ostdeutsche Provinz zu zeigen. „Rechte Gewalt gibt es dort und hier in NRW. Man muss sogar sagen: Der Osten ist bei der Bekämpfung dieser Taten einen Schritt weiter als wir.“
„Parteiisch“ will die 37-Jährige, die aus Hamm stammt, sein, „parteiisch auf der Seite der Opfer, aber von keiner politischen Partei abhängig“. Ihr Parteiprogramm sei: Menschlichkeit. Die ersten Kapitel dafür schrieb Luzar kurz nach der Wende, 1992, als in Rostock-Lichtenhagen ein brauner Mob Asylbewerber jagte. Sie sah die Bilder, und eine Frage drängte sich auf: „Wie kann es sein, dass Menschen klatschen, wenn andere Angst haben?“
Eine Frage, die Legionen von Psychologen beschäftigen könnte. Claudia Luzar fällt auch nach 20 Jahren die Antwort schwer, aber die Bilder von Rostock haben ihren Lebensweg beeinflusst. Sie studierte in Berlin Politik, immer mit einem Auge auf der rechten Szene. Sie gründete 1998 in Potsdam die erste Opferberatung („Was für ein Kontrast: Die schöne Landschaft und diese Düsternis in den Köpfen mancher Bürger!“), sie ging nach Costa Rica und Kenia und zurück nach Westfalen, ist heute Politikwissenschaftlerin an der Uni Bielefeld. Zu guten Erfahrungen gesellte sich eine bittere Erkenntnis: Rassismus ist international. Er blüht dann, wenn der Staat sich nicht kümmert. Er wächst, wenn sich Bürger nicht auf die Demokratie verlassen können.
Claudia Luzar hinterlässt im Gespräch den Eindruck einer energischen Frau. Sie gestikuliert viel, steht unter Strom, gibt rasche, druckfähige Antworten, pendelt zwischen freundlich und ernst. Rechte Gewalt in den neuen Bundesländern, sagt sie, ist etwas anders als die in den alten. „Im Osten sind die Opfer fast immer isoliert, gehören zu den Schwächsten: Punks, Menschen, die leicht behindert sind, Flüchtlinge. In Nordrhein-Westfalen ist die rechte Gewalt organisierter, und sie richtet sich auch gegen Menschen, die nicht in das genannte Opferbild passen.“ So wird gemobbt, beleidigt, geschlagen.
Rechte versuchen, Straßen oder Wohnquartiere für sich zu beanspruchen – in Dortmund-Dorstfeld, in Bochum-Langendreer, in Wuppertal, in Aachen, aber auch im beschaulichen Münster- und Sauerland. Viele Opfer fühlen sich im Stich gelassen. Denn oft schauen Polizisten und Orts-Politiker weg oder zumindest nicht richtig hin.
„Aber es bewegt sich was“, meint Luzar, „Back up arbeitet in Dortmund eng mit dem Staatsschutz zusammen, die Politik dort hat sich nach längerem Zögern endlich klar gegen Rechts positioniert. In Bochum läuft es ähnlich, und in Langendreer gibt es eine starke Zivilgesellschaft, die nicht wegschaut, wenn was passiert.“
Claudia Luzar sucht keinen Streit mit der rechten Szene. „Ich lehne deren Ideologie ab, aber nicht sie als Menschen. Ich grüße, bin höflich, bleibe ruhig. Mit diesem Verhalten können die Rechten schwer umgehen.“
Ob sie manchmal Angst hat? „Ich bin in der Mitte der Gesellschaft. Jeder Obdachlose und Asylbewerber ist mehr in Gefahr“, sagt sie. Angst, das ist die Begleiterin der Opfer. Über 80 betreut die Organisation Back up inzwischen, stärkt ihnen den Rücken, besorgt juristischen Beistand, Ärzte und auch Psychologen.
Die Angst hört manchmal gar nicht mehr auf, wie im Falle des Mordanschlags auf einen Duisburger Gastwirt vor acht Jahren. Der Migrant hatte beim Zurücksetzen seines Autos eine Selbstschussanlage ausgelöst, die auf den Fahrersitz gerichtet war. „Er weiß bis heute nicht, wer das war“, erzählt Luzar. Back up kümmert sich um ihn.